Minsk Forum XXI Berlin: Die belarusische Stimme in Europa erheben

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Mit hochkarätigen Gästen und Teilnehmern fand in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin die den Minsk Forum Prozess 2023 abschließende Hauptveranstaltung statt.

Nach zwei Arbeitssitzungen in Vilnius und Warschau sowie einem Treffen mit europäischen Parlamentariern in Brüssel kamen Vertreter der belarusischen Zivilgesellschaft in Berlin zur letzten Veranstaltung des diesjährigen Zyklus zusammen. Die Hauptkonferenz des Minsker Forums stand unter dem Motto „Die belarusische Stimme in Europa erheben“.

Aufzeichnungen von der Konferenz sind auf Belarusisch und Deutsch ( Belarusian, German ) wie auch im Original ( the original ) auf dem YouTubeKanal der dbg e.V. verfügbar.

Die Berliner Konferenz begann mit der Begrüßung durch Lars Hänsel von der Konrad-Adenauer-Stiftung (Abteilungsleiter Europa/Nordamerika) und Rainer Lindner von der deutsch-belarussischen Gesellschaft (Mitglied des Beirats, Gründer des Minsk Forums).

Trotz der erzwungenen „Auswanderung“ des Minsk Forums aufgrund der Politik des Regimes von A. Lukaschenka, stellte Dr. Lars Hänsel fest: „Wir werden das Forum nicht in Vilnius-Warschau-Brüssel Forum oder etwas Ähnliches umbenennen. Wir streben an, dass dieses Format nach Belarus zurückkehrt“. Er äußerte die Hoffnung, dass das Minsk Forum ein Ort des freien Gedankenaustauschs und der Planung von Perspektiven für Minsk und Belarus, auch innerhalb des Landes, sein kann.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist seit 2007 Partner des Minsk Forums – sie kann als erste deutsche politische Stiftung genannt werden, die aktiv mit Belarus zusammenarbeitet. „Ein souveränes, freies und in Wohlstand lebendes Belarus ist ein wertvoller Partner für die Europäische Union und ein wichtiger Baustein für die zukünftige Friedensordnung in Europa.“

Professor Dr. Rainer Lindner begann seine Eröffnungsrede mit dem Gruß „Es lebe Belarus“. In seiner Rede erinnerte er auch an die Geschichte des Minsk Forums: Wie 1997 mit dem IBB in Minsk eine Plattform geschaffen wurde, die der Fachwelt, der politischen Opposition und den Behördenvertretern die Möglichkeit zum regelmäßigen Austausch mit Kollegen aus Berlin, Brüssel und anderen EU-Ländern bot.

„Meine Gedanken sind heute bei den Hunderten und Tausenden von politischen Gefangenen, die das Regime in seinen Gefängnissen festhält und deren Freilassung wir zu ermöglichen versuchen und versuchen werden. […] Die dunkle Ära für Belarus muss ein Ende haben: Dieses Land verdient eine Zukunft in Europa genauso wie die Ukraine, Moldawien und alle anderen postsowjetischen Staaten, die das imperiale Erbe endlich hinter sich lassen wollen.“ Trotz möglicher Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten innerhalb der demokratischen Kräfte gehe es vor allem darum, dass sie solidarisch miteinander seien, um die Zukunft des Landes beeinflussen zu können. „Es ist eine sehr wichtige Aufgabe, auf die Menschen zuzugehen, die noch überzeugt werden müssen.“

Die Chance für einen EU-Beitritt von Belarus werde sich unmittelbar nach einem Wechsel des Regimes von A. Lukaschenka eröffnen. Die Anforderungen an das Regime lauten derzeit wie folgt:

  1. Freilassung aller politischen Gefangenen;
  2. Unterlassung aller Provokationen an der Grenze zur EU: zu den baltischen Ländern und Polen.

Nach Ansicht von R. Lindner könne Belarus sein Engagement für die Demokratie in Zusammenarbeit mit den EU-Ländern auf bestmögliche Weise unter Beweis stellen.

Im nächsten Teil der Konferenz gab Robin Wagener (Deutsches Auswärtiges Amt, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus, der Republik Moldau und Zentralasien) einen kurzen Überblick über die letzten drei Jahre aus der Sicht des belarusischen Kontextes und betonte, dass es keinen Frieden in Europa geben werde, solange V. Putin und A. Lukaschenko in ihren Ländern an der Macht seien. Er erwähnte auch einige europäische Initiativen, die derzeit mit Belarus zusammenarbeiten:

Es reicht nicht aus, die Freilassung der politischen Gefangenen zu fordern. Es müssen auch menschenwürdige Lebensbedingungen und Unterstützung für die Gefangenen nach ihrer Freilassung gewährleistet werden. Zum Beispiel müssen sie einen Anspruch auf einen humanitären Aufenthaltstitel gem. Art. 22 in Deutschland erhalten, um außerhalb jenes Landes arbeiten zu können, in dem sie nicht arbeiten dürfen.

Pavel Latushka (Stellvertretender Vorsitzender des Vereinigten Übergangskabinetts, Vorsitzender des Nationalen Anti-Krisen-Managements) reflektierte in seiner Rede über die Zukunft des demokratischen Belarus und die (Nicht-)Aktivität seiner Partner. Seiner Meinung nach ist es notwendig, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Belarus und Deutschland einzurichten, die konkrete Schritte für künftige Aktionen skizzieren würde. Andernfalls bliebe die Resolution vom 7. November nur eine gute Absicht.

Mögliche Instrumente im Rahmen dieser Strategie wären:

  1. Internationale strafrechtliche Verantwortung: Es sei notwendig, einen Haftbefehl gegen A. Lukaschenka zu erlassen, weil er ein Kriegsverbrechen begangen habe, nämlich die illegale Verbringung ukrainischer Kinder aus den vorübergehend besetzten Gebieten – wie es bereits in Bezug auf V. Putin geschehen sei.
  2. Die Nichtanerkennung der für Februar 2024 angesetzten Parlamentswahlen schon jetzt.
  3. Sanktionen. Trotz der Debatte über ihre Wirksamkeit bestehe keine Notwendigkeit, auf dieses Instrument zu verzichten. Es sei jedoch nicht möglich, eine bestimmte Art von Sanktionen gegen Russland und eine andere gegen Belarus zu verhängen, da es sich um einen „Unionsstaat“, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und eine Zollunion handele.
    • Die beste Lösung wäre die vollständige Unterbindung der Möglichkeit, Waren über die Grenze zur Republik Belarus zu befördern, sicherlich mit Ausnahme von lebenswichtigen Gütern und Medikamenten.
    • Sanktionen gegen die Verwendung des Dollars im Zahlungsverkehr mit der Republik Belarus und gegen die Einfuhr von Banknoten in das Land.
    • Es sei notwendig, das Auslandsvermögen der Familie von A. Lukaschenka ausfindig zu machen und einzufrieren sowie die Konten zu sperren.
    • Sanktionen gegen den „Unionsstaat“.
  4. Das Projekt der nationalen belarusischen Universität im Ausland.
  5. Es sei notwendig, Gegenpropaganda zu entwickeln und einzusetzen; wahre Informationen müssen nach Belarus gelangen.
  6. Politische Gefangene seien für die demokratischen Kräfte jetzt ein Thema von absoluter Priorität.

Toni Michel (Konrad-Adenauer-Stiftung, Referent für West- und Südeuropa) moderierte das Podium in Abwesenheit von Jakob Wöllenstein (Konrad-Adenauer-Stiftung, Leiter des Auslandsbüros Belarus), der wetterbedingt nicht von Vilnius nach Berlin fliegen konnte.

Dr. Ryhor Astapenia (Gründer und Distinguished Fellow des Center for New Ideas; Academy Associate und Belarus Initiative, Chatham House) sprach über die Lage in Belarus nach der russischen Invasion in der Ukraine. Er erwähnte auch die Forschungsergebnisse von Chatham House, aus denen hervorgeht, dass die Mehrheit der Belarusen die russische Militäraggression sowie die Politik des Regimes von A. Lukaschenka nicht unterstützt.

Katia Glod (Policy Fellow, European Leadership Network) äußerte die Meinung, dass die belarusische Opposition [nach 2020] sowohl in den Augen der internationalen Gemeinschaft als auch der belarusischen Gesellschaft an Legitimität gewonnen habe. Gleichzeitig sei es wichtig zu verstehen, dass die demokratischen Kräfte erst am Anfang des Aufbaus von Strukturen und der Institutionalisierung stünden, weshalb es notwendig sei, dies zu erleichtern, indem man ihnen Plattformen und Möglichkeiten zur Interaktion biete. Nach Ansicht des Experten sollte die Opposition aktiver an der praktischen Ausrichtung der künftigen europäischen Integration von Belarus und an Reformen in verschiedenen Bereichen (Wissenschaft, Bildung, Gesundheitswesen, Wirtschaft) arbeiten. Es ist sehr wichtig, die belarusische Bevölkerung für sich zu gewinnen, damit sie die Opposition weiterhin unterstützt.

Anatoli Liabedzka (Vereinigtes Übergangskabinett von Belarus, Berater für die Verfassungsreform und interparlamentarische Zusammenarbeit): Belarus sollte auf der internationalen Agenda präsent sein, aber gleichzeitig sollte „mehr Europa“ in den Herzen und Köpfen der Belarusen sein. Es gibt eine Allianz parlamentarischer Gruppen „Für ein demokratisches Belarus“, der Vertreter der Parlamente von 23 Ländern angehören, von Kanada und den USA bis zu Georgien und Moldawien.

Der Sprecher ist überzeugt, dass die Belarusen durch die parlamentarische Dimension ihre eigene Agenda vorantreiben können. „Wir nehmen gute Dokumente an, aber es gibt keine Korrelation zwischen dem, was angenommen wird, und dem, was in der Praxis funktioniert“, sagt Liabedzka. Es ist notwendig, eine schrittweise Strategie für die Umsetzung der Resolution zu entwickeln.

Als Antwort auf seine Vorrednerin stellte Liabedzka fest, dass die meisten Belarusen das Regime nicht unterstützen, aber sie haben auch Fragen: Was für ein Belarus schlagen Sie vor, in dem man leben kann? Was können Sie anbieten? Es ist sehr wichtig, diese Fragen zu beantworten, um den Belarusen eine Alternative aufzuzeigen.

Žygimantas Pavilionis (Parlament der Republik Litauen, Vizepräsident, Landesleiter für Litauen, Lettland, Estland) nahm online an der Konferenz teil. Er stellte fest, dass litauische Politiker immer nach Berlin blicken und bestimmte Erwartungen an ihre deutschen Kollegen haben. In seiner Rede ging er auf die historische Verbindung zwischen Litauen, Deutschland und Belarus ein. Im Jahr 2024, so Herr Pavilionis, werde sich die langfristige Zukunft Europas entscheiden.

Deutschland habe im letzten Jahr gelernt, dass man auf seine östlichen Nachbarn hören müsse. Dies ist die Meinung von Robin Wagener (Auswärtiges Amt, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus, der Republik Moldau und Zentralasien). Die Unterstützung für Belarus sei auch eine Unterstützung für den Kampf in der Ukraine. Der Kampf für die Demokratie müsse mit konkreten Schritten umgesetzt werden. Die Unterstützung von Belarus sei kein Sprint, sondern ein Marathon; es lohne sich auch, die Situation in Belarus im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung zu betrachten. Die Unterstützung von Belarus sei von strategischem Interesse für Europa, das an einem stabilen demokratischen Land an seiner Seite interessiert sei.

Während der Diskussion sowie der Frage- und Antwortrunde sprachen die Podiumsteilnehmer über die Rolle der für 2024 geplanten Parlamentswahlen in Belarus und die Beteiligung der Zivilgesellschaft daran sowie über die im letzten Jahr vorgenommenen Gesetzesänderungen. Aus dem Publikum kamen Kommentare über die Uneinigkeit und das Gegeneinander der belarusischen demokratischen Kräfte heute, was ihre gemeinsame Arbeit zugunsten des demokratischen Wandels in Belarus behindere. Es wurde erörtert, inwieweit A. Lukaschenka sich seiner Position im Jahr 2023 wirklich sicher fühle, sowie die Möglichkeit eines Dialogs mit dem Regime und Optionen für dessen Spaltung von innen.

Stefan Kägebein (Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, Regionaldirektor Osteuropa) moderierte das zweite Panel des diesjährigen Minsker Forums in Berlin. Die Podiumsteilnehmer sprachen zunächst über die innenpolitischen wirtschaftlichen Ereignisse in Belarus, diskutierten dann den internationalen Kontext und die außenwirtschaftlichen Beziehungen des heutigen Belarus und beantworteten anschließend Fragen aus dem Publikum.

Zu Beginn der Podiumsdiskussion sprach Robert Kirchner ( Deutsches Wirtschaftsteam, stellvertretender Leiter) über die aktuelle makroökonomische Situation in Belarus. Die wichtigsten Punkte seiner Rede waren:

  • Die belarusischen Behörden haben nur begrenzten Zugang zu bestimmten Wirtschaftsdaten – das erschwert die Arbeit der Wirtschaftswissenschaftler, macht sie aber gleichzeitig wichtiger.
  • Wie wir sehen können, stand die belarusische Wirtschaft 2022 unter dem starken negativen Einfluss der Sanktionen. Der Verlust der Ukraine als Handelspartner wurde für Belarus zu einem spürbaren Problem – es wurde ein Rückgang des BIP um fast 5 % beobachtet, was auf die schlimmste Rezession seit den 1990er Jahren hindeutet. Doch im Jahr 2023 wird das Wirtschaftswachstum wieder einsetzen. Weißrussland erhält wieder billiges Öl aus Russland, das es dann in Form von Ölprodukten über graue Kanäle in andere Länder reexportiert. Die Gehälter der Bevölkerung steigen, die Inflation ist dank der beschlossenen Verwaltungsmaßnahmen niedrig, und der Handel erholt sich.
  • Für das nächste Jahr wird eine Tendenz zur Stagnation vorausgesagt. Die alten Produktionsmethoden sind erneut die Hauptquelle des Wirtschaftswachstums – Belarus hört wieder einmal auf, eine moderne Wirtschaft zu sein.

Dr. Lev Lvovsky (BEROC, Akademischer Direktor) sprach über die Ausrichtung der internen Wirtschaftspolitik des belarusischen Staates:

  • Zunehmende staatliche Kontrolle in allen möglichen Bereichen der Wirtschaft
  • ein noch nie dagewesenes System der Preiskontrolle
  • Anhebung und Einführung neuer Steuern
  • Kontrolle des Arbeitsmarktes – neue Gesetze über Pflichtarbeit nach der Universität, zum Beispiel

Der Experte äußerte sich auch zur Außenwirtschaftspolitik des Regimes: viele Versuche, mehr Geld und Ressourcen aus Russland zu erhalten, sowie offensichtliche Versuche, andere Partner zu finden.

Uladzimir Rak (International Strategic Action Network for Security (iSANS), Leiter der Abteilung für Energiesicherheit) stellte fest, dass der Bau des Kernkraftwerks das Energiesystem von Belarus grundlegend verändert, weil:

  • Gemessen an seiner Kapazität ist dies ein sehr großes Kraftwerk für Belarus, was zu einer Überproduktion von Energie führt und die Entwicklung der erneuerbaren Energien im Lande stoppt.
  • Durch die Ausbauquoten gibt es keine rechtliche Möglichkeit, neue erneuerbare Energiequellen zu bauen, und keine Finanzierung.
  • Der Prozess der Verbesserung der Energieeffizienz ist zum Stillstand gekommen (bereits seit fast 7 Jahren).
  • Die Arbeit einer Reihe von NROs, die sich mit Energie befassen, wurde eingestellt.

Auf dem Podium wurde betont, dass der Energiesektor ein Schlüsselsektor für die wirtschaftliche Unabhängigkeit ist.

  • Die belarusische Wirtschaft im Ausland existiert in einem Umfang und in einer Qualität, die man als eigenen Sektor oder Institution bezeichnen kann, sie hat sich in der EU etabliert.
  • Die belarusische Wirtschaft beeinflusst die Wirtschaft der EU: Belarusen nehmen nicht nur Arbeitsplätze weg, sondern schaffen sie auch. Derzeit gibt es in der EU 8.100 Unternehmen mit belarusischen Wurzeln, was mindestens 17.000 Arbeitsplätzen entspricht.

In Deutschland gibt es inzwischen bis zu 100 belarusische Unternehmen, das sind weniger als 1 % der gesamten EU. Nur die Hälfte dieser Unternehmen spricht offen über ihre Geschäftsbeziehungen zu Belarus.

Sierz Naurodski sprach auch über den Verband der belarusischen Unternehmen im Ausland (ABBA): Einerseits veranstaltet der Verband Netzwerktreffen und Foren, andererseits hilft er Unternehmern bei der Lösung finanzieller Probleme und der Suche nach Investoren. Einer der Erfolge von ABBA: Die Verhandlungen mit der Europäischen Kommission, die im nächsten Jahr einen speziellen Investitionsfonds für belarusische Unternehmen in der EU einrichten wird, werden bald abgeschlossen sein.

Seiner Meinung nach ist es notwendig, die Zahl der belarusischen Investitionsveranstaltungen zu erhöhen – Tage der Investoren und Informationstage zum belarusischen Wirtschaftssektor.

In der Frage- und Antwortrunde diskutierten die Teilnehmer der Konferenz über die wirtschaftliche Verflechtung von Belarus und Russland und darüber, wie Belarus die russische Kriegsmaschinerie unterstützt und wie sich die Struktur des Handels zwischen Belarus und Deutschland während des Krieges verändert hat.

Die russische Unterstützung mildert die negativen Auswirkungen der Sanktionen auf die finanzielle Situation des Regimes von A. Lukaschenka; es ist notwendig, nach Methoden zu suchen, um die Wirksamkeit der bereits eingeführten Sanktionen zu erhöhen, und nicht nur neue einzuführen. Wie Experten festgestellt haben, handelt es sich bei der Umgehung von Sanktionen eher um spezifische Fälle von unredlichem Verhalten und nicht um eine zentralisierte Strategie. Die Umgehung von Sanktionen ist schwer zu erkennen, und der Nachweis ist ein separater, langwieriger, aber notwendiger Prozess.

Heute ist es schwierig, von einem zukünftigen Zusammenbruch der belarusischen Wirtschaft zu sprechen; vielmehr ist das Land auf eine Stagnation gefasst.

Präsentation von Diskussionsergebnissen. Vertreter der belarusischen Zivilgesellschaft hatten während einer Klausur im Rahmen des Minsk Forums (1. bis 3. Dezember) die Gelegenheit zum Meinungsaustausch.

Aleś Čajčyc (Deutsch-Belarussische Gesellschaft, Vorstandsmitglied) hielt die Eröffnungsrede zu diesem Panel und moderierte die Diskussion.

In seiner Einführungsrede sprach Herr Čajčyc über den Verlauf der Klausur:

  • An dem Treffen nahmen etwa 30 Personen teil, die derzeit alle im Ausland leben. Es habe sich jedoch nicht um ein Treffen der „Diaspora“ im üblichen Sinne des Wortes gehandelt: Es sei um die belarusische Zivilgesellschaft gegangen, die derzeit gezwungen sei, im Exil zu handeln;
  • Unterschiedliche Teilnehmerprofile: Menschenrechtsorganisationen, Massenmedien, politische Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und die akademische Gemeinschaft waren vertreten;
  • Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten und Zugehörigkeiten waren anwesend – sowohl Befürworter von S. Tsikhanouskaya als auch ihre Gegner, sowohl Konservative als auch Liberale – dies habe für eine Meinungsvielfalt und eine sinnvolle und interessante Diskussion gesorgt.

Die Diskussionen während dieser drei Tage konzentrierten sich auf zwei Hauptbereiche:

  1. Politische Gefangene, ihre Freilassung, Unterstützung und Rehabilitierung
  2. Konfrontation mit dem Regime im Informationsraum und im ideologischen Bereich

Dr. Iryna Sidorskaya (unabhängige Forscherin) präsentierte die Arbeitsergebnisse zum zweiten Thema

Nach den manipulierten Wahlen von 2020 erklärte das Regime von A. Lukaschenka den unabhängigen Medien den Krieg:

  • Verfolgung von Journalisten: 31 Medienvertreter befinden sich derzeit hinter Gittern, darunter 8 Frauen;
  • Erklärung der Massenmedien als „extremistisch“ und Kriminalisierung ihres Konsums;
  • Einschränkung des Zugangs zu den Massenmedien.

Warum die Arbeit unabhängiger Medien und ihre Unterstützung wichtig sind:

  • Mindestens 50 % der Befragten geben an, dass sie Informationen aus unabhängigen Medien konsumieren;
  • Belarusen im Exil sind begeisterte Leser von unabhängigen Massenmedien;
  • die bestehenden prorussischen und antidemokratischen Stimmungen in Belarus entstehen unter dem Druck der Massenmedien, insbesondere des Fernsehens, die mit dem belarusischen und russischen Staat liiert sind.

Zu vermittelnde Schlüsselbotschaften und Werte:

  • Botschaften: 
    • Die belarusische Gesellschaft ist Akteur und nicht Opfer.
    • Die belarusische Gesellschaft identifiziert sich mit europäischen Werten.
    • Belarus und die Belarusen sind eine eigenständige Nation und nicht Teil der „russischen Welt“.
  • Werte:
    • Unabhängigkeit
    • Recht auf freie Meinungsäußerung
    • Menschenrechte
    • Bürgerinitiativen

Die wichtigsten Komponenten der Nachhaltigkeit von Informationen:

  • eine starke und überzeugende eigene Agenda
  • Kampf gegen Propaganda

Unabhängige belarusische Massenmedien und nicht-institutionalisierte Medienprojekte sind beim belarusischen Publikum sehr gefragt.

Wen man unbedingt unterstützen muss:

  • Belarusische Entwickler von Massenmedien und Inhalten im Exil
  • Medieninitiativen an der Basis im Lande
  • Berufsverbände (BAJ, MediaIQ)
  • Initiativen zur Information über Belarus in verschiedenen Ländern (vor Ort)
  • Das Belarusische Zentrum für Strategische Kommunikation (Koordinierung der sektorübergreifenden Interaktion und Entwicklung klarer und kohärenter Narrative) – derzeit im Aufbau. Diese Initiative wurde vom Vereinigten Übergangskabinett von Belarus, insbesondere von der Vertretung für die nationale Wiederbelebung, angeregt;
  • Das Zentrum für die Öffentlichkeitsarbeit zu Belarus (Schaffung und Förderung einer neuen „Marke“ Belarus mit den oben genannten Botschaften) – noch zu klären.

Wie unterstützen:

  • Ständige Beobachtung des Medienkonsums in Belarus;
  • Unterstützung für neue und bestehende Medienprojekte und -institutionen;
  • Unterstützung bei der Schaffung und Entwicklung von Zentren für strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit für Belarus;
  • Unterstützung von Bildungsprogrammen für Jugendliche und Medienfachleute;
  • Fachlicher Austausch mit Massenmedien und NGOs.

Dmitry Balkunets (Demokratisches Forum Belarus, Mitorganisator) präsentierte die Ergebnisse der ersten Arbeitsgruppe:

Die derzeitige Situation der politischen Gefangenen in Belarus ist eine humanitäre Katastrophe für Europa. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen gibt es derzeit etwa 1.500 politische Gefangene in Belarus, in Wirklichkeit sind es aber bis zu 6.000.

Die Hauptthese der Rede: Es ist unmöglich, das Problem auf der Ebene zu lösen, auf der es entstanden ist – es ist notwendig, darüber hinauszugehen.

A. Lukaschenkas Beweggründe für die Inhaftierung politischer Gefangener und die Fortsetzung der Unterdrückung sind wie folgt zu sehen:

  • Rache für 2020
  • Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage in Belarus
  • Schaffung eines Bestandes an Geiseln für Verhandlungen mit der EU und den USA
  • Zwang zur Anerkennung von A. Lukaschenka als Präsident

Hauptakteure, auf verschiedenen Seiten:

  • A. Lukashenka
  • der Block der Macht (Polizei, Sonderdienste, Staatsanwaltschaft, Gerichte)
  • der Kreml
  • die Angehörigen der politischen Gefangenen
  • ein Teil der Beamten
  • die Zivilgesellschaft
  • die EU / die USA
  • der Vatikan / China / Ukraine

Die Motivation Deutschlands / der EU, die Freilassung politischer Gefangener in Belarus zu befördern oder nicht zu befördern:

  • Gegen ein Engagement für Freilassung sprechen:
    • Vorrang anderer internationaler Probleme
    • Gefangene sind keine EU-Bürger.
    • Die Existenz politischer Gefangener hat keine Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU.
    • Eine aktive Haltung gegenüber politischen Gefangenen kann eine Bedrohung für die Interessen der europäischen Wirtschaft in Belarus und Russland bewirken.
    • Die Existenz politischer Gefangener hat keinen Einfluss auf die Sicherheit der EU.
    • Große Unternehmen, die an Geschäften mit Russland und Belarus interessiert sind, können als Lobbyisten auftreten und Aktivitäten zur Freilassung politischer Gefangener blockieren.
    • Drohung mit der Schließung der Botschaften der EU-Länder in Belarus
    • fehlender Wille
  • Argumente für ein Engagement für Freilassung:
    • Die Existenz politischer Gefangener stellt eine Herausforderung für die Menschenrechtswerte dar, die in einem freien Europa Priorität haben.
    • Die Freilassung politischer Gefangener ist eine humanitäre Aufgabe der EU.
    • Die Freilassung politischer Gefangener ist eine Prestige-Frage für die EU.
    • Potenzial für Geschäftsbeziehungen im Falle einer Lösung der politischen Krise in Belarus.
    • Belarus sollte keine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und der EU darstellen.
    • Auswirkungen auf politische Prozesse in Russland

Vorschläge: Die Frage der Freilassung politischer Gefangener sollte separat gelöst werden; eine Option wäre die Schaffung einer internationalen Ad-hoc-Gruppe zur Freilassung politischer Gefangener. Es bedarf einer spezifischen Person oder Struktur seitens der EU oder Deutschlands, die für dieses Problem verantwortlich ist: Die Arbeit muss systematisiert werden, die Vorschläge müssen weiterverfolgt und zusammengefasst werden.

Schritt für Schritt: Zur Freilassung jedes einzelnen politischen Gefangenen ist ein individueller Ansatz erforderlich. Auch die Solidarität zwischen den Bürgern von Belarus, der EU, führenden Köpfen und politischen Persönlichkeiten ist notwendig.

Methoden:

  • Identifizierung der Motivation der Hauptakteure
  • Politik von Zuckerbrot und Peitsche (Ultimatum, Sanktionen, Tribunal usw.)
  • Pendeldiplomatie (Vermittlung durch sehr einflussreiche Personen)
  • Die Einbeziehung einiger Gruppen in den Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine;
  • Wiedergutmachung
  • Briefe von Bürgern an Politiker mit der Bitte, bei der Freilassung von politischen Gefangenen zu helfen

Mögliche Lösungswege für das Problem der politischen Gefangenen:

  • Schaffung der Voraussetzungen für einen nationalen Dialog
  • Bildung legitimer Institutionen der Macht
  • Organisation von Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Gericht)
  • Einrichtung eines internationalen Tribunals
  • Das Regime zum Verhandeln zwingen
  • Sanktionen als Ultimatum für A. Lukaschenka: Freilassung aller politischen Gefangenen oder die EU wird alle Güterzüge aus Belarus blockieren.

Alina Kharysava (Koordinierungsrat von Belarus [Femfraktion], Mitglied) sprach für ihre Arbeitsgruppe

Hauptakeure und Vorschläge an ihre Adresse:

  • Menschenrechtsverteidiger, NROs, Mitarbeiter des Außenministeriums, Geber: Hilfe anbieten, Akteure einbeziehen, kooperieren und flexibel sein
  • Ehemalige politische Gefangene, ihre Familien und Kinder: um Hilfe bitten und sie annehmen

Derzeit gibt es in Belarus etwa 1.500 politische Gefangene und etwa 1.400 ehemalige politische Gefangene (Angaben des Vereinigten Übergangskabinetts von Belarus). Wir wissen nicht, wie viele von ihnen in Belarus geblieben und wie viele ins Ausland gegangen sind. Klar ist jedoch, dass die Unterdrückung immer weiter zunimmt.

Angebote:

  1. Medizinische Unterstützung
    • Arbeit mit Angehörigen – um sie auf alle Herausforderungen vorzubereiten
    • Checklisten – um eine vollständige Gesundheitsuntersuchung durchzuführen
    • Krankenversicherungen – um sich von medizinischen Qualen zu erholen
    • Kurorte – um sich wieder als Subjekt zu fühlen
  2. Psychologische Unterstützung
    • Mentorenschaft – um bei der Anpassung zu helfen
    • Patenschaft – weiterführen und mehr einbeziehen, in Kontakt bleiben
    • Wiederaufnahme von EU-Programmen – zur Unterstützung ehemaliger Häftlinge
    • Lokaler Aktivismus – finanziell unterstützen
  3. Finanzielle Unterstützung
    • Finanzielle Unterstützung für Grundbedürfnisse
    • Zugang zum Arbeitsmarkt mit Hilfe von ABBA, ByMapka und europäischen Programmen

Eine Reihe von Organisationen arbeitet an diesem Thema:

Materialien / Links, die verteilt werden sollten:

Den Abschluss dieses Panels bildete der Vortrag von Ales Lapko (Belarusian Youth Hub, Executive Director) zum Thema

Strategien zum Überleben der aggressiven Übergriffe der „Russischen Welt“ und zur Bekämpfung von Diskriminierung und ideologischem Druck durch Russland und das Lukaschenko-Regime.

Nach Angaben des Belarusischen Kulturrates sitzen heute mehr als 140 Kulturschaffende hinter Gittern. Unter den Bedingungen von Unterdrückung und Massenmigration wird die Erhaltung der nationalen Identität, Sprache und Kultur noch wichtiger. Die Bewahrung der belarusischen Kultur ist kein Kampf gegen russische Kulturschaffende, sondern:

  • das Recht der Belarusen, ihre Sprache frei zu verwenden und nicht in der Angst zu leben, dafür auf der Straße verhaftet zu werden
  • das Recht, die wahre Geschichte zu studieren, und nicht die von Politikern umgeschrieben
  • das Recht, stolz darauf zu sein, dass man Belarusin oder Belaruse ist, ein Nachfahre alter europäischer Traditionen und ein Vertreter einer Nation, die gerade wieder auflebt

Das heutige Belarus braucht: Entkolonialisierung, Kommunismus-Abbau, Entsowjetisierung.

Ein weiterer Arbeitsbereich ist die Unterstützung von Kulturschaffenden, die im Exil leben und aufgrund der Verfolgung durch die Behörden nicht nach Belarus zurückkehren können. Sie schaffen belarusische Kultur, sind ihre Botschafter und Motoren und fügen sie in die große europäische Familie ein.

Seit 2020 sind mehr als 300.000 Belarussen ausgewandert, die meisten davon in die EU (Polen und Litauen). Es ist wichtig, das Belarusische unter den Belarusen im Ausland zu bewahren, die sich in der Vergangenheit sehr schnell assimiliert und integriert haben.

Integration belarusischer Kulturinitiativen: Rahmen für Koordination und Unterstützung:

  • Der Beauftragte des Vereinigten Übergangskabinetts für die nationale Wiederbelebu
  • Council of Cultur
  • Inbelkult 2.0
  • Institut für Bücher
  • Institut für Geschichte
  • Diaspora-Organisationen
  • Medien

Die Podiumsdiskussion wurde mit einer Frage- und Antwortrunde fortgesetzt; die Interessierten sprachen insbesondere über die Einrichtung einer Ad-hoc-Gruppe und ähnliche Beispiele aus der jüngsten europäischen Geschichte. Auf die Frage nach der Zusammenarbeit einer solchen Ad-hoc-Gruppe mit Wolha Harbunowa / dem Vereinigten Übergangskabinett im Allgemeinen antwortete Dmitry Balkunets, dass diese Gruppe nicht von Belarusen, sondern von europäischen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Politik gebildet werden müsse, die unter anderem Autoritäten für A. Lukaschenko wären. Es wurde erörtert, wie den Regionen der Republik Belarus echte Informationen übermittelt werden können.

„Mit der Verteidigung der belarusischen Kultur werden wir die europäische Zivilisation schützen“ – mit diesen Worten schloss Ales Lapko seine Rede.

In den Kommentaren aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass die politischen Gefangenen in Belarus Geiseln der Opposition der demokratischen Kräfte und des Regimes seien und die Sanktionen nur ein Faktor für die Fortsetzung der Unterdrückung seien.

Matthias Lüttenberg (Auswärtiges Amt, Direktor für Osteuropa, Kaukasus und Zentralasien)listete die aktuellen Herausforderungen auf, denen sich die belarusische demokratische Gemeinschaft derzeit gegenübersieht, und sprach auch über den aktuellen Stand der Beziehungen zwischen Belarus und Deutschland.

Obwohl die friedlichen Proteste gegen die gefälschten Wahlen nun schon mehr als drei Jahre zurückliegen, bestimmen sie noch immer den Alltag der Belarusen.

Matthias Lüttenberg wies darauf hin, dass man in Deutschland um die Zahl der politischen Gefangenen, die immer weiter ansteige, ebenso wisse wie die Verschlechterung der Haftbedingungen. Zusammen mit seinen Kollegen versuche er, die internationale Aufmerksamkeit auf dieses Problem zu lenken.

Trotz der Tatsache, dass einige große deutsche Institutionen nicht mehr in Belarus arbeiten können (z. B. das Goethe-Institut, der Deutsche Akademische Austauschdienst), gelinge es Deutschland, bestimmte Dinge in Zusammenarbeit mit Libereco zu tun.

Leider stelle das belarusische Regime heute nicht nur eine Gefahr für das Land selbst, sondern auch für seine Nachbarn in der Region dar, da es die Instabilität und die Gefahr erhöhe.

Der Versuch, Einfluss auf das Regime zu nehmen, geschehe auf dem Weg der Anwendung von Sanktionen, wobei Belarus und Russland unterschiedlich behandelt würden – auf diese Weise versuche die EU zu zeigen, dass sie den Unterschied zwischen dem Verhältnis der Völker von Belarus und Russland zum Krieg in der Ukraine verstehe.

Die deutsche Regierung und das Parlament setzten ihre Arbeit zur Unterstützung der belarusischen Zivilgesellschaft kontinuierlich fort. Das Auswärtige Amt versuche, Hilfsinitiativen für bestimmte Gruppen anzubieten, die unter Druck stehen (Kulturschaffende, Wissenschaftler, Journalisten).

„Es ist für uns sehr wichtig, dass das Minsk Forum fortgesetzt wird. Wir hoffen, dass es zu einer Quelle der Hoffnung für bessere Beziehungen zwischen Deutschland und Belarus wird. […] Die Bundesregierung wird die Belarusen auf ihrem Weg in ein freies und unabhängiges Belarus, das Teil Europas sein wird, unterstützen.“ Mit diesen positiven Worten schloss Matthias Lüttenberg seine Rede.