Minsk Forum XXI in Vilnius: Belarus auf der internationalen Agenda halten

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Am 11. September 2023 fand in Vilnius die Auftaktveranstaltung des XXI. Minsk Forums statt. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Belarus auf der internationalen Agenda gehalten werden kann.

Ergebnisse und Empfehlungen des Workshops

Im Rahmen der Vilnius-Tagung des diesjährigen Minsk Forum fanden zwei fünfstündige Workshops statt, die die Teilnehmer einluden, drängende Fragen im Zusammenhang mit der aktuellen Situation in und um Belarus zu diskutieren.

Die Teilnehmer dieser Gruppe waren zumeist Exil-Belarusen, die Menschenrechtsorganisationen, politische Gruppen und NROs vertraten. Der Workshop wurde in englischer Sprache abgehalten. Die Gruppe ging zunächst der Frage nach, warum internationale Zielgruppen ihre Aufmerksamkeit auf Belarus und seine Probleme richten sollten oder könnten. Danach wurde eine abschließende Diskussion über Möglichkeiten und Empfehlungen geführt.

Aufschlüsselung der Frage: (Ergebnisse der Diskussionen)

Wer ist „international“?

Regierungen und staatlich finanzierte Organisationen:

  • Entscheidungsträger (Regierungen usw.) Organisationen (UN, Interpol…
  • Internationale Geber

Gesellschaft:

  • Internationale Zivilgesellschaft (Organisationen)
  • Breitere Öffentlichkeit in westlichen Länder
  • Medien
  • Multiplikatoren

Wirtschaft:

  • Multinationale Unternehmen
  • Ausländische Unternehmen

Was sollte die getan werden?

Über Menschenrechtsverletzungen, politische Gefangene, Repressionen – aber nicht nur über „negative“ Dinge reden.

Die Belarusen sollten positive Botschaften formulieren:

  • Belarus ist nicht auf dem Weg nach, sondern auf dem Weg zurück nach Europa; nationale Identität, verbunden mit der Entscheidung, nicht in einer Diktatur zu leben (leben zu wollen): Demokratie, Freiheit, friedliche Proteste;
  • starkes Engagement der Zivilgesellschaft;
  • Erfolge trotz widriger Umstände.

Herausforderungen:

  • Belarus ist ein Land, das sich im Zustand des permanenten Terrors durch das von Moskau unterstützte Regime befindet.
  • Es fehlt einer gemeinsamen Botschaft der ‚Belarusen‘.
  • Eine negative Agenda schreckt die Menschen ab.
  • Belarus wird nur im Zusammenhang mit anderen Ländern (Russland, Ukraine) gesehen. Der Fokus muss neu ausgerichtet werden, um den ausschließlichen Fokus auf Belarus beizubehalten.
  • Themen, die die Menschen im Exil beschäftigen, sind vor allem Visaprobleme und Fragen des rechtlichen Status.

Was sind die eigenen Ziele der belarusischen Zivilgesellschaft?

  • Ein Belarus ohne das Regime
  • Verhinderung der Anerkennung des Regimes
  • weitere Delegitimierung des Regimes
  • Verhinderung der Normalisierung des Regimes, um der manipulativen „Out-of-the-Box“-Erzählung entgegenzuwirken, die das Regime benutzt, um sich wieder dem Westen anzunähern (z. B. die Umweltschiene)
  • Aufrechterhaltung des Drucks auf das Regime
  • Eindämmung des Missbrauchs von internationalen Organisationen und Mechanismen durch das Regime
  • Beendigung des Terrors und der Repressionen in Belarus, Freilassung der politischen Gefangenen
  • Belarus „international zur Vernunft bringen“, damit es nicht länger eine Bedrohung für seine europäischen Nachbarn, einschließlich der Ukraine, darstellt

Aktive internationale Solidarität und Unterstützung

  • für die belarusische Zivilgesellschaft
  • für die demokratischen politischen Kräfte (starke Ressourcen für auswärtige Angelegenheiten, Anerkennung der Legitimität der Vertreter des demokratischen Belarus)
  • für die einfachen Menschen
  • für Opfer von Repressionen, politische Gefangene

Was verstehen wir unter „Belarus“?

Es gibt zwei Arten von Belarus und zwei Arten von Trennlinien, die sie voneinander trennen:

  • Geografisch: innerhalb des Landes vs. im Exil und in der Diaspora
  • Politisch: das Regime vs. „das neue Belarus“
    • Der russische Faktor: Weißrussland unter (de-facto?) Besatzung?
    • Die „Grauzone“ der GONGOs/der nicht-politischen Zivilgesellschaft
    • Auf der Zeitachse: Vor 2020 oder „revolutionäres“ Belarus

Zwei Typen: Ist es gut oder schlecht, zwei Arten zu haben?

Einerseits zulassen, dass Belarus „geteilt“ wird, anderseits nicht zulassen, dass das Regime die gesamte Wahrnehmung von Belarus „erobert“.

Die Gruppe diskutierte intensiv über die Frage, wie Belarus gesehen und dargestellt werden sollte:

  • Sollte die Zivilgesellschaft „behutsam“ mit dem Regime umgehen oder sich dem Regime vollständig widersetzen?
  • Sollte Belarus als ein Land betrachtet werden, das im Krieg gegen die Ukraine auf der Seite Russlands steht, oder sollte das Regime „nur das Regime“ sein?
  • Gibt es ein Belarus oder zwei Belarus? In dieser Frage gab es keinen Konsens.

Der zweite Teil des Workshops beschäftigte sich mit der Frage, warum sich die internationalen Zielgruppen für Belarus interessieren sollten/könnten.

Welche Interessen der Zielgruppen könnten von belarusischen und anderen Akteuren genutzt werden, um Belarus auf der internationalen Agenda zu halten?

Internationale Regierungen, Entscheidungsträger, internationale Organisationen

  • Länder mit einer bedeutenden belarusischen Diaspora/Nachbarn von Belarus
  • Andere wichtige Länder (Deutschland, USA, etc.) und supranationale Gremien / internationale Organisationen (EU, UN, etc.)

Intrinsisches Interesse

  • an der Beseitigung von Sicherheitsbedrohungen durch das Regime (Migrantenkrise
  • an der Vermeidung des Kriegseintritts der belarussischen Armeean regionaler Stabilität
  • an Umweltsicherheit (Bialowieza, Astravets)
  • von Exil-Belarusen, die sich mit lokalem Lobbyismus an der Lösung von Problemen beteiligen (z.B. Visumsprobleme)
  • von Ländern, in denen Belarusen den Status einer nationalen Minderheit haben (wie die Tschechische Republik): Die Regierungen sind dafür verantwortlich, die Interessen ihrer Bürger belarusischer Herkunft zu vertreten
  • an der Aufrechterhaltung eines souveränen, von Russland unabhängigen Belarus
  • an der Achtung der Rechte ihrer Minderheiten in Belarus (ethnisch, sprachlich und religiös)
  • an Wirtschaft und Transit.
  • an Sicherheit, Stabilität, Unabhängigkeit von Belarus
  • weil die Öffentlichkeit in diesen Ländern Menschenrechte und Demokratie unterstützt
  • an der Sicherstellung der moralischen Integrität (bzw. ihrer Wahrnehmung auf internationaler Ebene, durch die eigene Wählerschaft usw.)

Vermeiden: Verluste, Missbrauch (einschl. Propaganda), Reputationsverlust

  • Input/Expertise der demokratischen Zivilgesellschaft ist erforderlich, um zu erkennen, welche Organisationen GONGOs sind.
  • Vermeidung von „Präzedenzfällen“, die aus dem Ruder laufen könnten (bestimmte Arten der „Anerkennung“).
  • Ernährungssicherheit (belarussische Düngemittel)?
  • Wahrung internationaler Grundsätze

Internationale Geberorganisationen

  • verfolgen das Ziel, in humanitären, ökologischen und sozialen Fragen zu helfen (Förderprogramme)
  • Sie wollen, dass ihr Geld effektiv eingesetzt wird;
  • Rechenschaftspflicht
  • Zivilgesellschaft und allgemeine Öffentlichkeit sowie die Medien

Warum sollte sie das interessieren?

  • Regionale Sicherheit (einschließlich Freizügigkeit, Tourismus)
  • Geschäftsbeziehungen
  • Bildungswesen und Gemeinschaften
  • Themen, mit denen sich zivilgesellschaftliche Gruppen befassen: Umwelt (Astravets), Menschenrechte, usw.
  • Nationales / gemeinsames Erbe (national, ethnisch, religiös…)

Wann sind sie (unsere interessierten Zielgruppen) interessiert?

  • in Krisenmomenten: Grenzkrise durch (missbräuchlichen) Einsatz von Migranten
  • russische Atomwaffen in Belarus
  • Wagner-Söldner in Belarus
  • Zukunftssicherung

Wie kann ihre Aufmerksamkeit erregt werden?

  • durch Zusammenarbeit mit relevanten internationalen NGOs (Kooperation mit Partnern, die über Ressourcen, Ansehen, Kontakte, Reichweite, Aufmerksamkeit verfügen):
  • durch Multiplikatoren
  • durch den Statur als nationale Minderheit
  • durch Veranstaltungen: Kultur, Bildung (Festivals, Auszeichnungen, Ausstellungen…)

Die Gruppe war sich einig, dass Belarus so etwas wie eine verbesserte „Markenmanagement-Strategie“ braucht – wobei der Begriff „Markenmanagement“, da er aus der Marketingsprache stammt, von einigen Mitgliedern der Gruppe stark abgelehnt wurde.

  • Erzählungen über Belarus sollten auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten sein:
  • Woran soll man anknüpfen? Historische Erfahrungen; Kultur und Einstellungen; Interessen
  • Gemeinsamkeiten
  • außergewöhnliche / exotische Themen: Geschichten, Gesichter, Ereignisse
  • Was ist attraktiv / was ist beängstigend oder bedrohlich?
  • In der letzten Diskussionsrunde machte die Gruppe ein Brainstorming zu der Frage:

Wer kann was, wann, mit wem und mit welchen Mitteln tun?

Formate:

  • Vernetzung (p2p, o2o)
  • Nutzung bestehender Foren und Orte, um Belarus dort stärker zu präsentieren
  • EaP CS Forum
  • Sicherheitskonferenzen
  • Netzwerkveranstaltungen der politischen Parteien

„Ungewöhnliche“ Formate:

  • Jahreskongress religiöser Gruppen ( Katholiken, Protestanten, Juden)
  • Buchmessen
  • Festivals (Kultur, Wissenschaft, etc.)
  • Frauenrechtskongresse, Klimagipfel der Zivilgesellschaft
  • alle anderen relevanten Veranstaltungen
  • kulturelle und sportliche Veranstaltungen und Veranstaltungsorte: Museen, Galerien, Kinos, usw.
  • Vermittlung der Botschaften von Menschen (oder Gruppen wie Familien politischer Gefangener, Berufsgruppen, Hinterhofgruppen) aus Belarus, um ihnen (direkt oder indirekt) Gehör zu verschaffen

Dokumentation und Bereitstellung zuverlässiger Informationen über die Situation im Land (zur Weitergabe an Zielgruppen wie Entscheidungsträger)

Neue Allianzen aufbauen

Potenzielle Multiplikatoren für die Ziele und Ideale des demokratischen Belarus ausfindig machen; über ihr Interesse nachdenken, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen ( Multiplikatoren, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Schauspieler, Künstler, Sportler …)

  • Wissenschaft
  • (Arbeiter-)Gewerkschaften
  • parlamentarische Gruppen
  • Partner aus Ländern in ähnlicher Lage
  • globale Allianzen zu spezifischen (oder universellen) Themen (Netzwerke, z. B. zu häuslicher Gewalt)

Empfehlungen

  • Kennen Sie Ihre eigenen Interessen und Ziele!
  • Bleiben Sie Ihren Werten treu!
  • Versetzen Sie sich in die Lage Ihrer Zielgruppe (was ist für sie wichtig?)!
  • Recherchieren und nutzen Sie kreativ bestehende Formate, Strukturen, Ressourcen, Anlässe, Plattformen, Kanäle!
  • Passen Sie Ihre Botschaften an Ihr Publikum / Ihre Zielgruppe an!
  • Kooperieren Sie! Bilden Sie Allianzen!

Die Workshop-Gruppe war sich bewusst, dass die Ergebnisse dieser Diskussionen keineswegs endgültig sind und dass diesen Fragen in Zukunft noch viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss, wenn man Belarus erfolgreich und fruchtbringend auf der internationalen Agenda halten willl.

Übersetzung: V. Jansen mit Hilfe von deepl.com