Minsk Forum XXI in Warschau: Belarus vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, gerieten Belarus und seine Bevölkerung unweigerlich in den Mittelpunkt des Geschehens. Das von Lukaschenka geführte Regime ließ zu, dass russische Truppen auf belarusischem Boden stationiert wurden. Infolgedessen wird Belarus oft als Mitangreifer in diesem Krieg wahrgenommen, obwohl belarusische Truppen nie an den Gräueltaten in der Ukraine beteiligt waren.

Außerdem hat die Regierung Lukaschenka ukrainische Kinder unter dem Vorwand, sie vor dem Krieg zu schützen und medizinisch zu versorgen, in Belarus aufgenommen. Dies hat dazu geführt, dass Lukaschenka wegen Kriegsverbrechen angeklagt wird, und legt nahe, dass gegen ihn ein internationaler Haftbefehl erlassen werden sollte, ähnlich wie gegen Putin.

Trotz der Verwicklung des belarusischen Regimes in diesen Krieg stellt sich die wichtige Frage, wie die belarusische Gesellschaft im weiteren Sinne angesprochen werden kann, insbesondere im Hinblick auf diejenigen, die aus dem Land geflohen sind, um einer Inhaftierung wegen ihrer politischen Opposition gegen das Lukaschenka-Regime und den Krieg im Besonderen zu entgehen.

In jedem Konflikt müssen mehrere Perspektiven berücksichtigt werden. In diesem speziellen Fall können wir die folgenden Stimmen identifizieren:

  • Russische Propaganda
  • der ukrainische Diskurs, der um militärische und finanzielle Hilfe bittet
  • die internationale Gemeinschaft, die sich für den Frieden in der Region einsetzt
  • Lukaschenkas Propaganda hat nur eine begrenzte Reichweite über die Grenzen des Landes hinaus.

Was in diesem öffentlichen Diskurs offensichtlich fehlt, ist eine deutliche Stimme aus der belarusischen Zivilgesellschaft. Vom ersten Tag des Krieges an veröffentlichten das Büro von Swiatlana Cichanouskaja und andere demokratische Gruppierungen förmliche Erklärungen, in denen sie die Hilfe verurteilten, die Lukaschenkas Regime Putin gewährt hatte, und gleichzeitig bekräftigten, dass die Belarusen die Ukraine in ihrem legitimen Kampf nachdrücklich unterstützten.

In diesen Aussagen kommen jedoch zwei konkurrierende Erzählungen zum Ausdruck:

  1. Die Belarusen stellen die Ukraine in den Vordergrund, übersehen ihre eigenen Bedürfnisse und setzen sich dafür ein, dass die ukrainische Stimme gehört wird.
  2. In vielen Fällen akzeptieren und fördern die demokratischen Führer von Belarus den Diskurs, dass Belarus ein Mitangreiferstaat ist und somit unweigerlich die Verantwortung für die Unterstützung von Angriffen gegen die Ukraine teilt.

Trotz der Unterstützung durch die belarusische Gesellschaft und die demokratischen Kräfte in der Ukraine hat ihr Vorgehen auf Kosten der eigenen Bevölkerung Anlass zu weiteren Diskussionen und möglicher Kritik gegeben.

Eine der wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Aufteilung der Verantwortung für Belarus im Rahmen seiner Gesellschaft ist die faktische Legitimierung der Handlungen Lukaschenkas als gewählter Präsident. Dies widerspricht dem zentralen Gedanken der Proteste von 2020 sowie aller anderen Proteste, die ihnen vorausgingen. Unter den gegenwärtigen Umständen ist es offensichtlich, dass es dem Lukaschenka-Regime an Legitimität mangelt. Daher wird die Frage der Mitverantwortung in Frage gestellt.

Der zweite entscheidende Aspekt ist die Überlegung, ob das Lukaschenka-Regime unabhängig agiert oder ob Belarus aufgrund der starken russischen Militärpräsenz als besetzt zu betrachten ist. Hier zeigt sich die Diskrepanz zwischen rein rechtlichen Definitionen, die recht konservativ sind, und der objektiven Realität der Hybridisierung von Kriegen und Bedrohungen.

Es ist klar, dass es unangemessen ist, die Verantwortung für Lukaschenkas Handeln allein Putin zuzuschieben. Nichtsdestotrotz wurden Lukaschenkas Entscheidungen seit einiger Zeit von der Kreml-Führung beeinflusst und zuweilen auch genehmigt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2020 Besorgnisse über den möglichen Einsatz russischer Streitkräfte zur Bewältigung der Proteste geäußert (wie es später in Kasachstan der Fall war). Daher kann man die derzeitige Situation in Belarus als eine „hybride Besetzung“ durch Russland bezeichnen.

Folglich müssen sich die Belarusen zunächst mit der Frage auseinandersetzen, welche Verantwortung Belarus für seine Beteiligung am Krieg tragen soll: als Land, als Regime/Verwaltung oder als Zivilgesellschaft.

Diese Unterscheidung ist in mehrfacher Hinsicht wichtig:

  • Es ist zu vermeiden, dass das Regime mit dem Staat und seinem Volk in einen Topf geworfen wird.
  • Um eine belarusische Agenda auf EU-Ebene aufrechtzuerhalten, ist es wichtig, die Kämpfe des belarusischen Volkes und die von der eigenen Regierung begangenen Verbrechen, vor allem gegen das eigene Volk, hervorzuheben.

Es wäre jedoch eine Herausforderung, Belarus weiterhin im Mittelpunkt der europäischen Agenda zu halten und gleichzeitig immer wieder von Belarus als Mitaggressor zu sprechen. Im Übrigen gemäß der Definition von Aggression in der Resolution 3314 (XXIX) der Generalversammlung der Vereinten Nationen:

Die Frage, ob eine Angriffshandlung vorliegt, muss unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls geprüft werden.

Das bedeutet, dass im Falle von Belarus die Illegitimität Lukaschenkas und die de facto hybride Besatzung berücksichtigt werden sollten, wenn es um Einschränkungen geht, die die belarusische Bevölkerung innerhalb und außerhalb des Landes betreffen würden.

Künftig, wenn der Krieg vorbei ist, könnte die Ukraine fordern, dass Verantwortung für die Stationierung russischer Truppen und die vom belarusischen Territorium aus abgefeuerten Waffen übernommen wird. Wenn es soweit ist, sollte der Fall Belarus durch das Prisma internationaler Beispiele von Aggression und Kollaboration mit Aggressoren betrachtet werden, sowohl im aktuellen als auch im historischen Kontext.

Jedoch sollten sich die demokratischen Kräfte in Belarus nicht hierauf konzentrieren. Die zentrale Agenda der demokratischen Kräfte lautet wie folgt:

  • Zwischen Belarus und Russland sollte unterschieden werden, wenn es um mögliche Einschränkungen für die Bürger dieser beiden Länder geht.
  • Die Lebensgrundlagen der Belarusen innerhalb und außerhalb des Landes [sichern], insbesondere im Falle derjenigen, die aufgrund politischer Repression zur Flucht gezwungen sind.
  • Rechtzeitige und wirksame Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus den von der Regierung Lukaschenka eingeführten Gesetzesänderungen ergeben (Beendigung der Ausstellung neuer Pässe über die Botschaften usw.).

Dr. Hanna Vasilevich ist Vorstandsvorsitzende des Internationalen Zentrums für ethnische und sprachliche Diversitätsstudien (Prag)

Übersetzung: V. Jansen mit Hilfe von deepl.com